Alexander Will erklärt die Welt.

In der Nordwest-Zeitung erklärt uns Alexander in Kommentaren regelmäßig die Welt. Nicht mit Fakten, sondern mit seinen Sichtweisen – und seine Sichtweise ist ein Beleg dafür, dass die selektive Wahrnehmung leider nicht nur eine wissenschaftliche Theorie ist. Mit selektiver Wahrnehmung bezeichnen wir das psychologische Phänomen, dass bei der Wahrnehmung nur bestimmte Aspekte der Umwelt aufgenommen und andere ausgeblendet werden. Und so setzt er seine eigene Wirklichkeit zusammen. Und weil er dies als Mitglied der Chefredaktion der Nordwestzeitung tut, bringt er damit die „Vierte Gewalt“ in unserem Land in Verruf.

In einem Kommentar zu Überlegungen, dass Waffenrecht zu verschärfen (21.12.22), weil die einen Staatsstreich planende Gruppe von Reichsbürgern und anderen über viele Waffen verfügten, fährt er gleich viele massive Geschütze auf.

  1. Die Verunglimpfung derer, die diese Forderung aufstellten. So schreibt er: „In Wirklichkeit geht es jedoch in dieser Debatte gar nicht um Sicherheit. Es handelt sich um einen Kulturkampf. Schützen und Jäger stehen stellvertretend für ein in weiten Teilen liberal bis konservatives in jedem Fall aber bodenständiges und heimatliebendes Milieu, das die deutsche Linke schon immer verachtet.“ Und: „Immer vorn dabei: Grüne und Teile der SPD. Jetzt ist es einmal mehr so weit.“  In seiner Sicht geht es also nicht um eine Überlegung, Waffenbesitz einzudämmen, sondern um einen Kulturkampf der Grünen und SPD gegen heimatliebende und bodenständige Schützen und Jäger.
  2. Eine volle Breitseite gegen den „Staat“, der als Waffenbesitzer herumschlampe. Die privaten Waffenbesitzer würden lückenlos überprüft. „Wird da gegen Regeln verstoßen, ist die Waffenbesitzkarte weg. Das gilt nicht für den Staat. Er ist es, der in Sachen Waffen und Munition notorisch schlampt“.

Und er verteilt dann auch noch Aufgaben, nicht ohne noch einmal gegen seine Lieblingsfeinde auszuteilen: „In der Koalition ist es nun Aufgabe der FDP, Vernunft zu erzwingen. Sportschützen und Jäger sind keine potenziellen Verbrecher oder Putschisten – auch wenn Grüne und Teile der SPD sie immer wieder so framen.“

Heute (14-1-2023) hat er in einer „Analyse“ noch erkannt, dass die ganze Welt die israelische Regierung unter Netanjahu diffamiert. „Apokalypse in Jerusalem?“ heißt es auf der Seite „Meinung und Analyse“

Der Hintergrund: Die israelische Regierung plant eine Justizreform. Die Justizreform bedeutet, dass die Gewaltenteilung zwischen Parlament und obersten Gericht in Israel aufgehoben werden soll. Das Parlament kann demnach mit einfacher Mehrheit vom Gericht gestoppte Gesetze beschließen. Dagegen läuft die Opposition Sturm, denn dies bedeutet die Ausschaltung des obersten Gerichts.

Nur zu Erinnerung: alle Regierungschefs, die mehr Macht anstreben oder anstrebten, haben zwei erklärte Feinde: die Presse und die Justiz. Da gleichen sich Trump, Bolsonaro, Orban, Kaczynski oder auch mit leichten Abstrichen Berlusconi. Und Netanjahu hat auch privat die Justiz zu fürchten.

Was macht Alexander Will daraus: Wieder dasselbe Muster. Zunächst werden die Kritiker des Gesetzesvorhabens diffamiert. „Der abgewählte Verteidigungsminister Benny Gantz fordert zu Demonstrationen gegen die neue Regierung auf, die das Land „zum Erzittern bringen“ sollen. Der abgewählte Ministerpräsident Jair Lapid spricht von einem „Krieg um unsere Heimat“. Die Wahlverlierer verhalten sich ähnlich wie Trump in den USA und Bolsonaro in Brasilien. Sie schüren Aufruhr“. Da werden also Politiker, die zum demokratischen Protest gegen ein Gesetzesvorhaben der Regierung aufrufen, mit Trump und Bolsonaro gleichgesetzt, die eine demokratische Wahl verloren haben und diese Wahl nicht anerkennen. Sind da etwa die Maßstäbe etwas durcheinander­gekommen?

Im nächsten Schritt stellt umfänglich dar, dass sich in Israel das Gleichgewicht zwischen Parlament und Obersten Gerichtshof so verschoben hätte, dass es zu einer „Erosion der als Idee stimmigen Parlamentsouveränität“ gekommen wäre. Eine kühne Behauptung. Aber Alexander Will weiß offensichtlich, was in Israel wirklich wichtig und richtig ist: „Die Reform der neuen Regierung Netanjahu zielt darauf ab, Parlamentssouveränität wiederherzustellen. Sie zielt darauf ab, das Agieren politisierter Richter, die in den Augen vieler Israelis zu einer Art Aristokratie in Roben geworden sind, zu beschränken.“  Ist es jetzt Zufall, dass sich diese Argumentation ganz ähnlich anhört, wie die der polnischen Regierung zu ihrer Justizreform? Die nebenbei gesagt, von der EU als Verstoß gegen die europäischen Grundwerte eingeschätzt und sanktioniert wurde.

Aber es geht ja noch weiter. Nun werden die Pressekolleginnen und Kollegen in Israel diffamiert: „Dass all dies in der europäischen und auch der amerikanischen Öffentlichkeit wenig diskutiert, ja kaum benannt wird, hängt maßgeblich mit Überzeugungen und – ja – auch der Faulheit des internationalen Pressekorps in Israel zusammen.“  Also sind alle Journalisten in Israel faul und außer Alexander Will scheint sich auch in Deutschland keiner um eine ordentliche Berichterstattung zu kümmern.

Zu guter Letzt demonstriert Alexander Will noch seine Kompetenz als Sprachwissenschaftler:

„Kaum ein Text kommt in Deutschland beispielsweise ohne den Verweis aus, Netanjahus Koalitionspartner, die Partei Otzma Jehudit, sei „rechtsextrem“. „Rechtsextrem“ bedeutet für deutsches Publikum nun immer auch „nationalsozialistisch“. Das muss jedem klar sein, der diesen Begriff auf israelische Verhältnisse anwendet. Man wirft mit einem derartigen Gebrauch von „rechtsextrem“ der israelischen Regierung also nichts weniger vor, als – mindestens zum Teil – in der Tradition des Nationalsozialismus zu stehen. Absurder und ahistorischer geht es nicht.“

Da schreibt einer das Wort rechtsextrem. Will erklärt, dass damit nationalsozialistisch gemeint sei. Deswegen dürfe man das Wort rechtsextrem nicht mehr verwenden. Seine Interpretationen werden bei ihm zu Fakten. Weil er es weiß.

Zusammenfassend kann man den Stil von Alexander Will so darstellen. Wer nicht seiner Meinung ist, wird diffamiert: faul, links, grün. Halbe Wahrheiten werden zu ganzen Fakten. Unterschiedliche Dinge (Leugnung der verlorenen Wahl und Aufruf zum demokratischen Protest) werden gleichgesetzt. Worte werden in eigenwilliger Art gedeutet und dann als so gesagt hingestellt.  Wäre der Artikel ein Kommentar, dann wäre es schon schlimm genug. Aber er kommt als Analyse daher. Da kann man nur sagen: Sechs, setzen.

Wir brauchen in Deutschland und überall in der Welt eine freie, unabhängige Presse. Sie kontrolliert die Politik und informiert uns, die Menschen im Land. Sie wird daher auch als vierte Gewalt bezeichnet. Diesen Ruf hat sie sich erworben durch eine sachliche Berichterstattung. Ein striktes, aber ungeschriebenes Gesetz in der Presse ist daher auch: Kommentar und Bericht (Analyse) sind klar zu trennen. Alexander Wills Kommentare sind schon schwer zu ertragen. Wenn er als Analyst daherkommt und doch nur einen erneut schwer zu ertragenden Kommentar abgibt, dann bringt er die unabhängige Presse – und das behauptet die Nordwest-Zeitung zu sein – in Misskredit. Das sollte sich auch die Chefredaktion der NWZ überlegen

Herzlichst

Ulf Moritz

 

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