Corona – Covid – 19 verändert unser aller Leben. Abstand halten ist die Devise. Abstand schärft aber auch den Blick.
Mit ein bisschen Abstand betrachtet ist unsere Gesellschaft ziemlich krank.
Die Beschränkungen des öffentlichen Lebens, der Stopp für viele Gaststätten, Kleinunternehmen, das Fehlen der ausländischen Helfer auf den Spargelfeldern, der drohende Kollaps des Gesundheitssystems, die Veränderungen in der Arbeitswelt – plötzlich Homeoffice statt Büro, plötzlich Videokonferenz statt Dienstreise, das alles zeigt, wie verletzlich unsere Welt ist. Corona macht nachdenklich.
Nicht nur wir selbst sondern unsere Welt ist verletzlich. Thema Globalisierung: Nur zwei Meldungen aus ganz unterschiedlichen Bereichen:
„Zahlreiche Medikamente, die in Deutschland verkauft werden, stammen aus China. Händler berichten von möglichen Lieferengpässen – da aufgrund des Corona Virus-Ausbruchs Transportwege unterbrochen sind“. (1. Tageschau)
„Die Folgen der Coronavirus-Epidemie in China werden in den nächsten Wochen verstärkt Deutschlands Industrie und Handel treffen. Da viele chinesische Fabriken über Wochen stillstanden und auch derzeit nur eingeschränkt arbeiten, fehlen Vorprodukte, Teile oder komplette Erzeugnisse, die hierzulande verarbeitet beziehungsweise verkauft werden. Betroffen ist unter anderem die Elektronikbranche. Gestört sind nicht nur Importe, sondern auch Lieferungen nach China“. (2.Heise – Newsticker)
Wir haben uns daran gewöhnt, dass das billigste Produkt das Beste für uns ist, weil: Geiz ist geil. Daher produzieren die Firmen dort, wo es am billigsten ist, egal wie weit entfernt das ist. Die Transportkosten sind fast zu vernachlässigen. Und nun funktionieren die Transporte nicht mehr und wir stehen auf dem Schlauch. Man kann eine Fabrik für Medikamente nicht mal eben schnell hochziehen. Es sind nicht nur die Bauzeit und die technischen Geräte, die beschafft werden müssen, es sind dann auch die Fachkräfte, die es in Deutschland nicht mehr gibt.
Arbeitsteilung – und damit einhergehend Spezialisierung – ist für die Produktion, Verwaltung, Transport, für die Forschung und für die Lehre eine wichtige Voraussetzung für schnellere und wirtschaftliche Arbeit. Richtig. Wenn die Arbeitsteilung aber so weit geht, wie wir es in der Globalisierung jetzt sehen – Engpässe bei der Versorgung mit Medikamenten – dann haben wir ein Problem. Dann müssen wir einige Fragen stellen:
Was gehört zur Daseinsvorsorge in unserem Land? Und wer soll dafür gerade stehen?
Alles dem Primat der Wirtschaftlichkeit unterzuordnen funktioniert offensichtlich nicht. Privatisieren ist auch kein Weg, denn es lässt sich nur privatisieren was Profit bringt.
Beispiel Antibiotika Forschung: „Mehrere Firmen, unter anderem Bristol-Myers Squibb, Abbott, Eli Lilly, Wyeth, Aventis und Bayer sind bereits vor mehr als zehn Jahren ausgestiegen. Erst kürzlich haben drei weitere große Unternehmen – AstraZeneca, Sanofi und Novartis – die Entwicklung von Antibiotika gestoppt. Und auch der weltgrößte Gesundheitskonzern Johnson & Johnson bestätigte dem NDR, dass er keine weiteren, neuen Antibiotika entwickle“. (3. NDR)
Unser Wirtschaftssystem kümmert sich um alles, was Profit bringt. Was dabei Geld kostet, soll der Staat bezahlen. Also wir, die wir Steuern bezahlen.
Beispiel Transport: Wenn es günstig ist, Lebensmittel aus Ungarn, Spanien oder Polen zu holen, dann wir das gemacht. Wenn die Lastwagenfahrer aber zum Übernachten einen Parkplatz benötigen, dann soll der Staat diese Plätze bauen und betreiben. Die Gaststätte auf dem Parkplatz soll er aber bitteschön wieder privat betreiben lassen. An der schwerfälligen Eisenbahn hat dann auch niemand mehr Interesse. (Die Klimadebatte und den Anteil des Fernverkehrs am Co2 Ausstoß lassen wir heute mal beiseite).
Beispiel Krankenhäuser: Angeblich können private Betreiber ein Krankenhaus wirtschaftlicher führen. Warum machen dann so viele Pleite? Warum werden so viele Betten abgebaut, dass wir nicht nur in Zeiten einer Pandemie plötzlich keine ortsnahe Geburtsstation mehr haben?
Die Betriebswirtschaftslehre kümmert sich um die betriebliche Kostenoptimierung. Die Folgen davon sehen wir jetzt (wieder einmal) ganz deutlich. Es ist der Verlust von Arbeitsplätzen hier im Lande und damit einhergehend der Verlust von Wissen und Fertigkeiten. Es ist die Konzentration auf das, was profitabel ist. Daseinsvorsorge ist nicht profitabel.
Und deshalb müssen wir unter diesem Gesichtspunkt überprüfen, was wir global wie lokal tun. Hier in Ganderkesee heißt das, dass wir in den Bereichen der Daseinsvorsorge und der Grundbedürfnisse der Menschen unsere Gemeinde gestalten. Wir können hier vor Ort das Wirtschaftssystem nicht ändern. Daher sind uns die Hände gebunden, wenn es um die „freie“ Wirtschaft geht. Wir können nur das gestalten, was wir selber besitzen. Wo wir diesen Besitz aufgeben, verlieren wir unseren Einfluss.
Zum Beispiel in der Pflege. Wir hatten ein eigenes Alten- und Pflegeheim in Immer. Das wurde privatisiert. Die Mitarbeiterinnen erhielten nach der gesetzlichen Schonfrist von einem Jahr neue Arbeitsverträge. Fortan mussten sie dieselbe Arbeit für weniger Geld machen. Damals sagte man, der öffentliche Dienst ist zu teuer. Heute sagt man, die Pflegeberufe werden zu schlecht bezahlt, deshalb haben wir einen Pflegenotstand. Ganz ohne Corona!
Zum Beispiel im Bereich Wohnen. Alle großen Städte hatten früher kommunale Wohnungsbaugesellschaften. Die bauten bezahlbare Wohnungen. Dann wurden diese Wohnungen verkauft, weil man kurzfristig Geld brauchte. Große private Unternehmen kauften massenweise Wohnungen und zogen nur die Miete raus, ließen diese Wohnungen verkommen. (Beispiel: Delmenhorst Wollepark, gibt es aber auch anderswo: Kieler Wohnungsbaugesellschaft) bis die Stadt diese Wohnungen wieder aufkauft und sie saniert oder abreißt.
Ganderkesee muss die Bereiche der Daseinsvorsorge, die die Gemeinde selbst beeinflussen kann auch wieder selbst in die Hand nehmen. Wirtschaftlichkeit ist dabei das zweite, an das wir denken müssen. Im Vordergrund stehen die Menschen, für die die Gemeinde einzustehen hat.
Lasst uns den durch Corona erzwungenen Abstand nutzen, um kritisch auf das zu schauen, was wir tun.
Bleiben Sie gesund!
Herzlichst
Ulf Moritz
PS: Noch ein Beispiel Wasserwirtschaft:
In den Neunziger Jahren wurde vielerorts die Wasserwirtschaft privatisiert. In der Folge stiegen die Preise und die Städte holten größtenteils die Betriebe zurück.
„Politiker mussten zur Kenntnis nehmen, dass das Wissen und die Erfahrung der Ingenieure, Wissenschaftler oder Fachkräfte in der öffentlichen Wasserwirtschaft mindestens so groß und wertvoll sind wie in der Privatwirtschaft. Wenn es jedoch um die Einbeziehung von sozialen und ökologischen Belange, besonders auch bei der Planung der Infrastruktur geht, oder in der Tarifgestaltung und wenn es auch um die verantwortungsvolle Nutzung der Ressourcen geht, sehen sie jetzt, dass der öffentliche Wassersektor sogar deutlich der Privatwirtschaft überlegen ist.“ (Quelle 4) Das Dogma von der Überlegenheit der Privatwirtschaft war auf ganzer Linie widerlegt.
1)https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr/coronavirus-medikamente-engpaesse-101.html
4) ISBN 978-3-00-057262-3 Die Zukunft unseres Wassers in öffentlicher Hand (Globale Erfahrungen mit Rekommunalisierung) 2015