Karl MARX

Hatte Marx doch Recht?

Das ist die Titelstory des Spiegel am 30.12.2022. Eine Frage, die sich viele in den letzten Jahren immer häufiger stellen. Die Krisen und die Reaktionen darauf zeigen, dass man sich auf die Kräfte des Marktes, wie es schönfärberisch beschrieben wird, nicht verlassen darf. Da ist nicht nur die Klimakatastrophe, von deren Kommen man seit über 50 Jahren weiß und auf die der Kapitalismus nicht nur keine Antwort hatte, sondern deren Verschärfung bewusst in Kauf genommen wurde.  Solange sich die energiefressenden und CO2 produzierenden Maschinen noch verkaufen lassen, werden sie weiter produziert und verkauft. Die Bankenkrise 2007 / 2008 zeigte deutlich auf, dass es auch im Finanzsektor nur um kurzfristigen Gewinn ging und solide weitsichtige Planung und Absicherung nicht das Thema der Banker war. Und eine wirksame Transaktionssteuer, die damals von allen gefordert wurde, ist durch eine mächtige Lobbyarbeit bis heute verhindert worden. Die Corona Pandemie demonstrierte uns allen, wie abhängig wir von der globalisierten Wirtschaft geworden waren. Plötzlich gab es keine Masken mehr. Wenn in Shanghai Lockdown ist, kommen keine Teile für die Industrie nach Deutschland. Lieferengpässe hier bei uns? Das war doch das typische für die DDR! Und aktuell erfahren wir, dass auch unsere Medikamente zum großen Teil in China hergestellt werden. Fiebersaft für Kinder ist alle.KRANKER TEDDY

Marx hatte in seiner Analyse des kapitalistischen Wirtschaftssystems von der Akkumulation des Kapitals gesprochen. Verkürzt bedeutet die Akkumulation, dass die Produktion technologisch immer mehr verbessert wird, was eine beschleunigte Akkumulation durch Konzentration der Produktion und Zentralisation des Kapitals in wenigen Händen zur Folge hat. Sprich: Am Ende hat ein einziger Hersteller alle Konkurrenten vom Markt gedrängt. Aktuell bestimmen einige Hersteller in China wieviel von welchen Medikamenten in Deutschland in die Apotheken kommt. Oder welche Chips an die deutsche Industrie geliefert werden.

Nie war es so deutlich, wie heute, dass eine nicht regulierte Marktwirtschaft uns nur Probleme schafft und kein einziges löst. Nur um Missverständnisse zu vermeiden: Eine bürokratische Staatswirtschaft a la DDR bringt es auch nicht. Aber eines ist klar: der Staat muss mehr regulieren.

Schauen wir mal in unseren kleinen Mikrokosmos Ganderkesee:

Nahversorgung: In den siebziger Jahren hatten wir in Ganderkesee noch überall dezentrale Einkaufmöglichkeiten. Schlachter, Bäcker, Haushaltswaren, Kleidung, Schuhe. Alles konnte man in den verschiedenen Bauerschaften einkaufen. Heute gibt es nur noch wenige Inhabergeführte Geschäfte. Die Masse des Handels läuft über die Supermärkte und Discounter. Und für einen neuen Nahversorger in dem Baugebiet „Bargup“ in Bookholzberg findet sich kein Anbieter, der dort ein Geschäft eröffnen möchte, weil das Einzugsgebiet zu klein ist und die Nachbarmärkte sich ständig vergrößern. Ist dort aber kein Nahversorger, dann werden die Menschen in die Autos steigen und zu den Supermärkten fahren. Gut für die Umwelt?

Wohnen in Ganderkesee: Im Gemeindeentwicklungsausschuss des Gemeinderates wurde am 17.11.22 das Wohnraumversorgungskonzept des Landkreises vorgestellt. Dort heißt es zum Thema Neuvermietungen in Ganderkesee: Stichprobe der Mietpreise in Wohnungsanzeigen
2016: 5,51 Euro / qm
2021: 7,50 Euro / qm
das entspricht einer Steigerung von 36 %

Bei der Entwicklung der zweckgebunden Wohnungen (Sozialwohnungen) wurde 2016 für Ganderkesee ein Bedarf von 83 Wohnungen errechnet. Gebaut wurden nur 6 Wohnungen.

Kurz, in Ganderkesee eine günstige Wohnung zu finden, gleicht einem Glücksspiel. Der Markt richtet es nämlich nicht. Mietwohnungsbau muss sich für den Bauherren rechnen. Und das tut es nach den Gesetzen des Marktes nicht und so gibt es eben keine bezahlbaren Wohnungen mehr in Ganderkesee. Über Kauf oder Neubau können junge Familien nur nachdenken, wenn sie mindestens das Grundstück von den Eltern geerbt haben. Die Empfehlung aus dem Wohnraumversorgungskonzept:
Von 2021 bis Ende 2025 ist der Bau von 362 Wohnungen erforderlich, davon ca.138 Mietwohnungen.
2026 – 2030: 215 Wohnungen, davon 86 Mietwohnungen.
▪ Der Mietwohnungsbereich soll daher in den kommenden Jahren weiterhin unterstützt werden, um den Wohnbedarf für jüngere Menschen und Senioren zu befriedigen und den aktuellen Druck auf den Mietwohnungsmarkt zu beseitigten.

Das ist die Empfehlung aus dem Wohnraumversorgungskonzept des Landkreises: Der Staat – hier also die Kommune Ganderkesee – soll eingreifen, sonst geht es nicht.

Gewerbe: In den letzten 30 Jahren hat Ganderkesee zahlreiche und große Gewerbegebiete erschlossen. Aktuell wird ein komplett neuer „Gewerbepark an der Welse“ erschlossen. Dafür geht wieder Grünland verloren, welches der Landwirtschaft fehlt. Auch wenn geplant ist, diese Gewerbegebiet ökologisch gut zu gestalten, es wird wieder Fläche versiegelt, es müssen neue Straßen gebaut werden. Noch mehr Verkehr ist zwangsläufig die Folge. Wie also in Zukunft weitermachen?

2023 wird ein Jahr werden, in dem die Politik nicht nur im Bund, sondern auch im kleinen Ganderkesee Weichen stellen muss. Der Markt wird es nicht richten. Die Entwicklung im Großen hängt eben auch von den vielen kleinen Entscheidungen vor Ort ab. Der Rat der Gemeinde hat im Juli 2022 beschlossen, dass im Laufe des Jahres 2023 ein integriertes Gemeindeentwicklungskonzept erarbeitet werden soll. Dabei sollen sich alle Einwohner*innen der Gemeinde beteiligen können. Ideen für eine Zukunft sind gefragt, in der unsere Kinder und Enkel gut leben können.

Man kann nur alle bitten, sich zu beteiligen.

Und damit wünsche ich allen ein gutes neues Jahr 2023.

Herzlichst

Ulf Moritz

Das Wohnraumversorgungskonzept findet man unter: https://ganderkesee.ratsinfomanagement.net/tops/?__=UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZSUvTxGTJTXb5A6X3yxqKTA

Kranker Teddy: Bild von Myriams-Fotos auf Pixabay

3 Gedanken zu „Hatte Marx doch Recht?“

  1. Hallo Ulf, zunächst mal DANKE für deine guten Wünsche zum Neuen Jahr an die Welt. Da ich einer dieser Welt bin, von mir ein besonderes Dankeschön. Dir wünsche ich ebenso alles Gute für 2023 und bleib‘ zuversichtlich – auch wenn es schwerfällt.
    Deine Gedanken zum alten „Kalle“ Marx unterstützen voll und ganz, das was ich auch denke. Den Spiegelartikel kenne ich nicht (werde das aber nachholen), habe aber vor einer Weile das Buch von Terry Eagleton „Warum Marx recht hat“ gelesen. Wie die meisten Studenten der 68er-Generation (von BWL- und VWL-ern mal abgesehen) habe ich mich auch durch das Kapital gekämpft. Der alte Karl Marx hat so viel gar nicht falsch gesehen!
    In diesem Sinne wünsche ich uns ein erfolgreiches Jahr 2023.

  2. Moin Ulf, danke für deinen Kommentar und ein frohes neues Jahr! Karl Marx war ein Philosoph und kein Politiker. Ich möchte keine klassenlose Gesellschaft und die DDR war ein Unrechtstaat, der pleite gegangen ist. Ich finde die aktuelle Bundesregierung macht mit Olaf Scholz und Hubertus Heil eine vernünftige Sozialpolitik und greift in den Markt ein (u. a. Mindestlohn, Bürgergeld, Lieferkettengesetz), außerdem gibt es noch Gewerkschaften. Das zusammen nennt man soziale Marktwirtschaft! Was Ganderkesee angeht, da sollte die SPD in erster Linie Wahlen gewinnen und ihre Themen im Gemeinderat durchbringen (z. B. sozialer Wohnungsbau)! Da hilft uns Karl Marx bestimmt nicht. Viele Grüße Fred Molde

    1. Danke für Deinen Kommentar! Nachdenken über Zusammenhänge hat noch nie geschadet. Marx hat analysiert, was zu seiner Zeit war. Und vieles davon sieht man auch im Mikrokosmos Ganderkesee heute. Er hat aber nicht gesagt, wie es geht. Damals nicht und heute schon gar nicht. Das müssen wir schon selbst tun. Mach mit! Viele Grüße und alles Gute für das neue Jahr.

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